I. § 15 Abs. 1a, § 17 Abs. 5 EStG

Anwendungsbereich dieser Normen ist die Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften. Ausgangspunkt ist Art. 10 Abs. 1 der Fusionsrichtlinie,[1] wonach eine Sitzverlegung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) oder einer Europäischen Genossenschaft (SEC) aus Deutschland in einen EU-Mitgliedstaat auf Ebene der SE-Anteilseigner bzw. SCE-Mitglieder unmittelbar keine Besteuerung auslösen darf.

Deshalb sieht § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG vor, dass im Falle einer SE oder einer SCE bei Wegzug keine Entstrickung im Wege der fiktiven Entnahme stattfindet. Aber gemäß § 15 Abs. 1a EStG werden Gewinne aus der späteren tatsächlichen Veräußerung der SE- oder SCE-Anteile ungeachtet abkommensrechtlicher Regelungen in Deutschland besteuert, und zwar in der gleichen Art und Weise, wie die Veräußerung dieser Anteile an der Europäischen Gesellschaft oder Europäischen Genossenschaft zu besteuern gewesen wäre, wenn keine Sitzverlegung stattgefunden hätte.

Ähnlich ist die Rechtslage bei § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG. Diese Norm stellt eine Veräußerungsfiktion auf, wonach die Beschränkung oder der Ausschluss des Besteuerungsrechts der BRD hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an einer Kapitalgesellschaft im Fall der Verlegung des Sitzes oder des Orts der Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaft in einen anderen Staat der Veräußerung der Anteile zum gemeinen Wert gleichstehen.

Diese Veräußerungsfiktion dient der Sicherstellung des deutschen Besteuerungsrechts am Veräußerungsgewinn von Anteilen an Kapitalgesellschaften bei identitätswahrender Verlegung des Sitzes oder des Ortes der Geschäftsleitung. Ausnahmen liegen nach Satz 2 vor bei Sitzverlegungen innerhalb der EU. Bei einer späteren Anteilsveräußerung erfolgt sodann die „normale“ Besteuerung gemäß § 17 EStG bezogen auf den tatsächlichen Gewinn und nicht bezogen auf den gemeinen Wert bei Wegzug (vgl. Satz 3) – wiederum ungeachtet der abkommensrechtlichen Vereinbarung (vgl. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA).

Ersatzrealisationstatbestände wie verdeckte Einlage, Gesellschaftsauflösung, Kapitalherabsetzung mit Rückzahlung, Ausschüttungen und Rückzahlungen aus dem Einlagenkonto gem. § 27 KStG werden durch die Regelungen der § 15 Abs. 1a Satz 2 und § 17 Abs. 4 EStG aufgefangen.

Europarechtliche Bedenken ergeben sich daraus, dass die Bundesrepublik sich bei der Schlussbesteuerung nicht auf die am Stichtag vorhandenen stillen Reserven beschränkt, sondern auch etwaige Wertzuwächse im Ausland erfasst und damit eine eventuelle doppelte Besteuerung dieser Werte in Kauf nimmt.

[1] Fusionsrichtlinie 2009/133/EG vom 19.10.2009, ABl 2009 L 310/34, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2013/13/EU vom 13.05.2013, ABl 2013 L 141/30.